Das kann doch keine Schule sein!?

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Heckenbeck. Hier ist es! Ein bunt bemaltes Fachwerkhaus steht mitten in einem Dorf umgeben von gelb blühenden Rapsfeldern, sprießenden Ackern und einer Idylle, wie man sie nur aus Filmen kennt. Ein Auto parkt gerade ein und eine getigerte Katze läuft über den Hof. Es ist ruhig. Bis auf ein paar Vögel, ist nichts zu hören. Mein Blick schweift zu den farbigen Lettern neben dem Eingangstor: „Grund-, Haupt- und Realschule Heckenbeck“. In der Schule brennt Licht und ein Junge kommt aus der Eingangstür heraus. Aus dem Fenster tönt Klavierspielen. Ich muss mich kneifen — ist das überhaupt möglich? Es ist 22 Uhr. An einem Sonntagabend.das kann doch keine schule sein
Es ist mein erstes Mal an einer sogenannten Freien Schule. Einer Schule, in der alles auf Freiwilligkeit basiert. Hier kommen die SchülerInnen um 8 Uhr hin und gehen um 13 Uhr. Was dazwischen passiert, liegt alles in ihrer Hand.
„Pausen? Die gibt es hier nicht. Hier ist immer Pause.“ sagt mir ein Mädchen als ich vergebens auf dem Stundenplan danach suche. Auch einen „Stundenplan“ gibt es hier nicht. Es gibt Angebote der LehrerInnen und die SchülerInnen entscheiden selber, ob sie daran teilnehmen oder eben nicht.Ich bin hier mit Schools of Trust, einer Bewegung, die alternative Schulen bekannter machen möchte – denn wir glauben, dass wir von Ihnen in unserem eingefahrenen Regelschulsystem viel lernen können. Wir sind zu dritt auf einer Reise zu neun verschiedenen alternativen Schulen in ganz Deutschland und den Niederlanden. Wir filmen und fotografieren den Schulalltag und interviewen die Schüler, Eltern und Lernbegleiter. Und was ich besonders wichtig finde ist, wir nehmen uns Zeit, einfach mal zu beobachten, einzuatmen und zu spüren.
Während ich durch die Räume laufe, spielen Kinder mit Lego oder lesen, knobeln an Matherätseln oder sind auf dem Klettergerüst im Garten, basteln ihr Fantasietier oder machen selbstständig ein Biologie Experiment, lernen zu schreiben oder schmeißen sich Bälle beim Zombieball auf dem Schulhof zu.

schools of trust„Ein Jahr Interesse ist so viel wie 8 Jahre Desinteresse.“

erzählt mir Jan-Filip; ein junger, sportlicher Mann mit langen Haaren, den ich auf dem Schulhof treffe. Er hat die Schule bis zur zehnten Klasse besucht. In der siebten Klasse hat er erst mit dem Lernen angefangen. Lesen und Schreiben konnte er davor nur begrenzt. Inzwischen steckt er mitten in den Abiturprüfungen und hat gute Chancen auf einen Einserschnitt. „In meiner Altersstufe war ich der Erste, der mit intensiverem Lernen
Schüler bei einem Lernangebot: angefangen hat. Mir hat es sehr Spaß gemacht, mich in mehrere Themengebiete tiefer rein zu arbeiten. Das haben die anderen gesehen und ebenso angefangen. Für mich war das genau richtig so.“

Das Lernen von Sozialkompetenzen, Selbsteinschätzung und einem gesunden Selbstbewusstsein stehen in der Schule auf der Tagesagenda.

schulenSchulversammlungen finden regelmäßig statt. Hier diskutieren Schüler und Lehrer über mögliche Entscheidungen, die Auswirkungen auf alle haben. Heute geht es um eine rote Linie, die versetzt werden soll. Sie markiert das Gebiet des Schulhofs. Da meldet sich ein kleiner Junge und sagt, dass man ja mal bedenken solle, dass es praktisch wäre, wenn ein Teil der Linie im Schatten läge. Die Erwachsenen nicken. Daran hatten sie nicht gedacht. Ich ertappe mich, wie mein Mund offen steht; die Meinung des achtjährigen Schülers und des achtunddreißigjährigen Lehrers zählen gleicher maßen. Alle sind per Du.
Jan-Filip sagt, er habe hier gelernt zu kommunizieren und seine Meinung zu sagen. Das merke ich. Er kann sich gut ausdrücken, hat auf jede meiner Fragen eine Antwort und seine Hände untermalen seine Worte.
Man merkt, auf der Schule wird nicht aus Notwendigkeit, Angst oder Druck gelernt. Sondern aus Freiheit, Wertschätzung und Freude. Das bedeutet aber kein Abfallen der Noten. Im Gegenteil: es werden gute Ergebnisse erzielt, die mit anderen Schulen vergleichbar sind. Etwa die Hälfte der 89 Schüler machen ihr Abitur.Schule
Wenn ich an meine eigene Schulzeit zurück denke, dann denke ich an die Lärmampel mit der meine Lehrerin uns beibringen wollte, ruhig zu sein. Bei uns ist sie fast immer rot gewesen. Hier wäre sie grün. Es verwundert mich, wie ruhig es bei der Schulversammlung ist. Alle hören zu, argumentieren und melden sich bei den Abstimmungen. Ist ja irgendwie auch logisch, denke ich. Hier nehmen nur Schüler teil, die auch wirklich Lust dazu haben.
Was ich in den 3 Tagen hier feststelle ist, dass diese Schule viel mehr als eine Schule ist. Sie ist ein Zentrum der Geborgenheit und Gemeinschaft. Die Räume sind bunt dekoriert und durch die Holzmöbel und Teppiche entsteht in jedem Raum eine warme Atmosphäre. Nach dem Mittagessen Zuhause kommen viele Schüler wieder und spielen Basketball auf dem Schulhof. „Sogar 2 Jahre nach meinem Abschluss komme ich regelmäßig hierher und spiele mit den Kindern.“ sagt Jan-Filip. Heckenbeck und die freie Schule werden immer ein Zuhause für ihn sein.
Jan-Filip erzählt lächelnd, dass er jetzt erst mal nach dem Abi reisen wird. Quer durch die USA mit dem Fahrrad. Dann würde er gerne etwas mit dem menschlichen Körper machen. Das fasziniert ihn.
Ich frage mich, wie mein bisheriger Lebensweg verlaufen wäre, wenn ich diese Schule besucht hätte. Wäre ich anders? Würden meine Zukunftsperspektiven sich unterscheiden? Was wäre mir im Leben wichtig?
Vielleicht würde ich Sonntagabends in der Schule Klavier spielen.

Schools of Trust

Die Bewegung ist durch den Dokumentarfilm „Schools of Trust“ entstanden. Der Film zeigt eine neue Art von Bildung – Freie Demokratische Schulen. Inzwischen ist Schools of Trust zu einem Verein geworden, der sich kritisch mit dem Bildungssystem auseinandersetzt und durch Social Media alternative Schulen bekannter machen möchte: Auf Facebook und Instagram könnt ihr erfahren, was sich momentan in der Bildungspolitik und in der Bewegung tut. Ihr werdet inspiriert, kritisch zu hinterfragen, euch mit anderen Interessierten auszutauschen oder selber aktiv zu werden. Auf Youtube starten Florian, Jonas und Tabea, die momentan das Herz der Bewegung sind, bald mit einem neuen Format über Freie Demokratische Schulen. Und auf dem Blog könnt ihr neben anderen spannenden Artikeln, von Tabea weitere Einblicke in die Reise zu den verschiedenen Schulen gewinnen. Die Bildungsrevolution hat begonnen! Werde ein Teil von ihr!

PS: Vielen Dank an Tabea Zorn von Schools of Trust für deinen Gastartikel!